Konzertreise Paris 2017

Ich war noch niemals in Paris, ich war noch niemals an der Seine

Nicht in Worte fassen lässt sich meine Freude darüber, dass mich der Leiter des Chors der Universität Hohenheim als brandneuen Tenor nach nur drei Probe­besuchen damit überraschte, selbstverständlich mit nach Paris reisen zu dürfen. Und ich versuche es dennoch, diese meine Freude in Worte zu fassen:
Schon allein dieser Chor, eine einzigartige Komposition aus allem, was Stuttgart und Umgebung an Jung und Alt aufzubieten hat, ist eine Reise wert. Für mich im Besonderen, weil er es über alle Stimmen hinweg versteht, einem suchenden Neuankömmling wie mir von Beginn an auf nicht aufdringliche, sondern schwäbisch-empfindsame Art das unbeschreibliche Gefühl zu vermitteln, angekommen zu sein. Gefolgt von dem unverwechselbar-feuerzangenbowligen Chorleiter: Walter Pfohl. Wie beschreibe ich ihn? Vielleicht als die kongeniale Verkörperung des feinsinnigen Monsieurs Isidor aus dem Film „Der Mann der Friseuse“ und des genialen Albert Einstein. Weil Walter wie jener jedem, der ihn während des Singens einen Wimpernschlag lang nicht hypnotisch in die Augen schaut, mental und physisch die Zunge rauszustrecken beliebt. Grandios auch seine im Vorfeld beinahe im Stundentakt eintrudelnden Emails mit pädagogisch wertvollen „Paripos“. Das sind von ihm (und mutmaßlich Ghostwritern) bestaufbereitete Chor- und Reiseführer, mit denen er uns - stets liebevoll mit „Parislerchen“ umarmend - intensivst auf die Welthauptstadt der Orgelmusik eingestimmt hat. Und damit besteige ich den Olymp meiner Freude, die Stadt der Liebe und der Musik: Paris! Was kann es Schöneres geben?

Wenn ich - frei nach Heine, an dessen letzter Ruhestätte im Cimetière Montparnasse und manche vielleicht mit Tränen in den Augen sein „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ angestimmt haben - an Paris denke, an was denke ich dann?

Zu allererst an die Stadt der Liebenden. Das mag an der Freizügigkeit, der Schönheit, aber auch Gelassenheit dieser pulsierenden Weltstadt liegen, so als ob sie Jedem an jedem Ort und bei jeder Gelegenheit spüren lassen wollte: „Laufen und laufen lassen“. An die Brücke der Liebenden (Pont Solverino) denke ich mit Millionen und Abermillionen von Vorhängeschlössern mit Herzen und Aufschriften, wie „Joe & Jacki 30.9.2017“.
Sodann an die Stadt der Laufenden. Ich - selber allmorgendlicher Läufer - habe noch nie so viel laufende Weiblein und Männlein gesehen, wie hier auf den Brücken und an den Ufern der Seine. Und hätte mir gewünscht, einer von ihnen zu sein. Hier zu leben, hier zu laufen und laufen zu lassen.
Nicht vergessen werde ich den einzigartigen Moment, an dem ich das erste Mal in meinem Leben von weitem wahrhaftig die Spitze des mit 325 Metern alles überragenden Eiffelturms erspäht habe, der damals den Zorn vieler Pariser erregte und heute Menschen aus aller Herren Länder anlockt und dessen Zauber ich an unserem vorletzten Tag in den Abendstunden, wie einen Weihnachtschristbaum lichter-geschmückt, von Nahem selber hab' erleben dürfen. Ich denke daran, wie mich ein Liebespaar auf der Brücke vor dem Eiffelturm (Pont d’léna) bat, diesen herrlichen Moment fotografisch für hoffentlich die Ewigkeit festzuhalten. Und an was denke ich vor allem?
Natürlich an die Stadt der Musik. Ein ganz persönlicher und ergreifender Höhepunkt für mich war das Einatmen zunächst der Luft vor dem Place Vendôme No. 12, dem Haus, in dem Chopin vorzugsweise den Töchtern der Reichen und Privilegierten seiner Zeit die Kunst seiner Musik zu vermitteln versucht hat. Anschließend besuchte ich voller Ehrfurcht vor allem seine letzte Ruhestätte im Père-Lachaise, wo es vor Trauerkränzen, Liebesrosen und Besuchern aus Polen mit weiß-roten Bannern nur so wimmelte. Und ich denke an den monströsen und nur zur Hälfte von mir bezwungenen Eisbecher danach, der sinnigerweise wie hieß? Père-Lachaise" natürlich. Was haben die Pariser hier für wohlklingende Namen, wie Liege", „Saint Lazare". Alles klingt für mich und meine Ohren wie Musik.

Doch kann ich auch jetzt, da ich das Privileg hatte, die Pariser Luft ein- und auszuatmen, nur allzu gut nachempfinden, warum der von allen so verehrte Chopin ausgerechnet hier so jämmerlich an Schwindsucht litt und deswegen nach Mallorca floh, um anschließend wieder zurück in Paris vollends daran zu Grunde zu gehen. Denn das Wetter, obgleich es uns am ersten Tag mit herrlichstem Sonnenschein empfangen hat, ist durch seine Zweischneidigkeit von wonniger Sonne und hinterdrein folgendem kaltem Wind höllisch gefährlich. So jedenfalls war mein Empfinden einer der wenigen Schattenseiten dieser Stadt.

Und mein und unser aller Höhepunkt war - das meine ich nicht pflichtverdrossen, sondern genauso, wie ich es empfunden habe und noch empfinde - vor allem unser erstes Konzert mit Walter, meinen stimmsicheren Tenorkollegen und allen im Chor im Saint-Eustache. Ganz und gar keine gewöhnliche Kirche, sondern eine wahre Kathedrale der Orgelmusik, wie nicht von dieser Welt", die uns schon am Probeabend zuvor wie eine zauberhafte Theaterkulisse mit einem in Lichtspiele getauchtes Renaissance-Säulenwirrwarr empfangen hat und die mir von innen bildhaft so in Erinnerung geblieben ist, wie Ken Follett’s „Die Säulen der Erde“. Wenn Du nur lang genug himmelwärts in dieses endlose, nicht von Menschenhand geschaffene Decken­gewölbe blickst, dann glaubst du, auf den Boden zu sehen!
Und unseren fantastischen Gesang und den baby-gleichen, mit sich und der Welt ganz und gar zufriedenen Blick von Walter vergess’ ich wohl ebenfalls nicht.

Wie gesagt: Hier bin ich angekommen. Hier bin ich Mensch. Hier darf ich sein.

Mit herzlichem Dank, Dir, Walter und den vielen helfenden Händen - ohne die unsere Pariser Reise so gelungen und harmonisch sicher nicht hätte stattfinden können - und allen wunderbaren Stimmen im Chor schließe ich mich den Worten unseres Reisesegens an, die da lauten:

„ … bis wir uns wieder sehn, möge Gott seine schützende Hand über dir halten."

Herzlichst Alexander T.