Beeindruckendes Hörerlebnis in Ludwigsburg
Wer am Sonntagabend in der nach der Uhrenumstellung ungewohnt früh einsetzenden Abenddämmerung über den Platz vor der Stadtkirche in Ludwigsburg lief, dachte vielleicht, dass es ein Konzert zum Thema Evensong geben würde. Der Evensong ist der traditionelle Abendgottesdienst der anglikanischen Kirche in England, aber auch weltweit in vielen englischsprachigen Ländern.
Und in der Tat ging es zunächst um den Evensong. Am Anfang standen auf dem Programm Werke von Charles Villiers Stanford, der im 19 Jahrhundert ein Hauptvertreter dieser Form der geistlichen Musik in England wurde, und von John Rutter, der 100 Jahre später eine vergleichbare Beliebtheit als zeitgenössischer Komponist volksnaher geistlicher Chormusik erfährt. Aber das Konzert wurde dann doch anders. Rutters ‚Look at the world‘ lieferte den passenden Konzerttitel. Zentrale Themen waren der Blick auf die Natur als Beweis für die Güte des Schöpfers und der Dank der Menschen für dieses Geschenk. Grundidee des Konzertes war es, den Evensong mit weniger bekannten, auch deutschsprachigen Chorstücken klassischer sowie zeitgenössischer Komponisten anzureichern.
Mit dieser Idee präsentierten Sebastian Herrmann und der Chor der Universität Hohenheim ihr zweites gemeinsames Konzert der neuen Chor-Ära nach der Verabschiedung von Walter Pfohl. Im Mittelpunkt ihres ersten Konzerts im März stand Mozarts Requiem mit vollem Orchester: dramatisch in der Betrachtung des Todes und dessen Folgen. Jetzt ging es um die Feier des Lebens: mit kürzeren Werken für Chor a cappella, teilweise in Englisch, teilweise mit Orgelbegleitung. Ein wunderbares Kontrastprogramm!
In der schönen, schlichten, hellen Stadtkirche entfaltete sich der Chorklang optimal, ob vor dem Altar oder auf der Orgelempore. Nach den ersten Liedern von Stanford und Rutter von der Orgelempore aus folgten Werke für Chor a cappella: zunächst kühle isländische Töne im Lied ‚Herbst‘ von Sigfús Einarsson und der ‚Sommerpsalm‘ von Waldemar Åhlén. Mit herrlichen Liedern von Beethoven (‚Opferlied‘ und ‚Ehre Gottes aus der Natur‘) und Mendelssohn (‚Abschied vom Walde‘) hatten auch berühmte deutsche Komponisten der frühen Romantik ihren Platz im Programm.
Nach John Rutters festlicher Vertonung des 47. Psalm ‚O clap your hands‘ ging es um das Evensong-Thema Abschied mit ‘Irish Blessing‘. Das Konzert endete mit ‚Abide with me‘, einem traditionellen Gemeindelied des Abendgottesdienstes in England, hier mit schönen solistischen Einlagen, und einem kräftigen ‚Exulta et lauda‘ von Refice als Reverenz an die neuere italienische Kirchenmusik. In der Zugabe ging es nach England zurück mit einem Satz von Thomas Tallis aus dem 17. Jahrhundert.
Der Chor wurde von Antal Váradi an der grandiosen Orgel sensibel begleitet. Die Auf- und Abtritte wurden von ihm mit Bravourstücken munter, virtuos und humorvoll gefüllt: faszinierend abwechslungreich die ,Alpenfantasie‘ (mit Anklängen eher an die schottischen Highlands?) von Isaac van Vleck Flagler, einem amerikanischen Organisten des 19. Jh., der die Orgel als Entertainment populär machte.
Der Chor präsentierte sich in Bestform und ließ die Werke der verschiedenen Genres in der freundlichen Akustik der Kirche beeindruckend schön und homogen erklingen. Unter dem klaren und gleichzeitig feinfühligen Dirigat von Sebastian Herrmann sang der Chor mit präziser Textaussprache, immer wieder auffallend schöner legato-Phrasierung und bemerkenswert echter englischer Sprachfärbung: ein Hörgenuss, für den sich das begeisterte Publikum mit langem Applaus herzlich bedankte.
Die erfreulich gut gefüllte Kirche, relativ weit vom Stammgebiet des Chores, lässt hoffen, dass der Chor sich weiterhin in der Region breiter etablieren kann: ein Chor, in dem sich noch einige Männerstimmen wohlfühlen könnten und bestimmt sehr willkommen wären! J.W.