Chorfreizeit Ochsenhausen 2018

Ein kleines Chorschaf berichtet...

.... von den Chorprobetagen im Juni 2018 in der Landesakademie Ochsenhausen, die ein letztes Mal von Walter, dem Hirten, geleitet werden.

Quicklebendig und mit großer Vorfreude nimmt ein großer Teil der Chorherde mit dem Bus Kurs auf die oberschwäbische Stadt Ochsenhausen. Doch auch versprengte Schafe aus der bergigen Schweiz, dem hohen Norden oder gar aus Übersee, finden sich zum leckeren Abendessen im Refektorium des ehemaligen Benediktinerklosters ein. Die Wiedersehensfreude mit einer stattlichen Anzahl Ehemaliger ist groß und das Stimmenwirrwarr erinnert an Fortissimo- Stellen im Credo der Schubertmesse in As-Dur, die gemeinsam mit dem Daimler Sinfonieorchester erarbeitet und musiziert werden. Die Orchesterschafe mit ihrem Hirten Matthias Baur, werden erst einmal, ganz nach Schafart, etwas ängstlich beäugt, dann aber schon bald vorsichtig beschnuppert.

Dem kleinen Chorschaf kommt die erste Stunde der gemeinsamen Probe im ehemaligen Bräuhaus etwas zag- und fehlerhaft vor. Doch nach und nach orientieren sich immer mehr Chor- und Orchesterschafe am Taktstock Walters, des Hirten, der die Herde mit Geduld und aufmunternden, aber energischen Anweisungen versucht, auf eine sichere Weide zu führen. Immer wieder legt er dar, unter welchem historischen Hintergrund diese herrliche Messe entstanden ist und über welche Konventionen sich Schubert hinweggesetzt hat. Diese Erklärungen helfen den Schäfchen sehr bei der Interpretation der einzelnen Messeteile und es stellt sich eine hohe Konzentration ein. Die Schafe scheinen den Frieden aus dem Dona nobis pacem erhalten zu haben, denn nun sitzen sie friedlich mit den Orchesterschafen im Bräuhauskeller zusammen, löschen ihren großen Durst und rücken sich ein klein wenig näher auf die Wolle. Die ausdauernsten Schafe sind nach nur wenigen Stunden Schlaf am nächsten Probentag wieder voll einsatzbereit.

Während die Orchesterschafe ihre Stücke proben übt die übrige Herde, unter der bewährten Begleitung von Alexander am Piano, dessen Kompositionen und weitere Jubiläumsstücke. Walter, der Hirte, gibt ein halsbrecherisches Tempo vor. Wehe dem, der sich die Texte nicht schon vorher genau angeschaut hat! Das kleine Schaf zollt den Ehemaligen großen Respekt, die sich souverän durch unübersichtliche Partituren, da Capos und fitzelichkleingeschriebene Unmengen von Text kämpfen und dabei noch nicht einmal in die Noten schauen dürfen, weil dieses von Walter, dem Hirten, alle 20,75 Sekunden verboten wird. Dabei ist der eigentliche Grund für das Rausschau- Gebot vermutlich nur, dass die Noten sich nicht so schnell abnutzen und der Dirigent, durch die entstehenden Lücken der herausgefallenen Noten, allmählich arbeitslos würde.

Bei der nächsten Tutti- Probe fallen einige Chorschafe plötzlich durch rastloses Scharren mit den Hufen, aufgeregte „Mäh´s“ in allen Tonlagen und leichtes Zittern am ganzen Körper auf. Die Symptome breiten sich zügig auf die ganze Herde aus und verschonen auch die Orchesterschafe nicht. Walter, der Hirte, weiß genau: Nun geht sie wieder um, die Fugen- Angst. Doch sofort beginnt er bei den Celli mit der Gegentherapie. Sein beruhigendes rabbeldibbel rabbeldibbel rabbeldibbel rabbeldibbel lässt sie allmählich in Trance fallen und bald spielen sich die Noten wie von alleine. Die übrigen Streicher lassen sich davon anstecken und spielen bald präziser als ein Uhrwerk. (Die anweisenden Lautäußerungen Walters, des Hirten, waren dem kleinen Schaf zu komplex und vielschichtig, um sie hier aufschreiben zu können). Die Schäfchen im Chor lassen sich ebenfalls mitreißen, erfreuen sich an dem gemäßigten Tempo und beginnen in den Comes, Zwischenspielen und Amens geradezu zu schwelgen.

Um die Bodenhaftung nicht vollständig zu verlieren, begibt sich die große Herde nach dem Mittagessen auf eine kleine Wanderung. Im Schatten des Waldes, mit Buchen- und sonstigem Gezweig, geht es entlang eines Baches. Unter kundiger Führung von Leitschaf Claudia, geht es sanft bergauf und bergab, es werden nette Gespräche geführt, entspannt und im herrlichen Duft der blühenden Linden gebadet. Oder doch gleich richtig im Badesee geschwommen.

Nach dem Abendessen folgt eine weitere harmonische Probe. Um alle Chorschafe an der Freude über ihre Verlobung teilhaben zu lassen, laden Deborah und Michael zu einem Umtrunk in den Bräuhauskeller, wo der Tag fröhlich ausklingt.

Auch der letzte Tag des Probenwochenendes beginnt mit strahlendem Sonnenschein. Nach dem Frühstück kann man im Innenhof bei Beates gymnastischen Übungen alle Verspannungen lösen, seinem eigenen Atem nachspüren und die Seele baumeln lassen oder einfach in der Sonne sitzen und dem Treiben der Dohlen hoch oben im Turm zusehen. Doch fünf Minuten später wissen die Schafe, dass dies die Ruhe vor dem Sturm war. Bei der musikalischen Rallye nach Übersee landet man in Oklahoma, anschließend im nervenaufreibenden Showbusiness und findet sich dann plötzlich in Jerusalem wieder, wo sich Elke ein „Jingelchen“ aus Polen anlacht, der Zug aber leider um 7.40 Uhr schon wieder abfährt. Zuletzt in Hohenheim angekommen, plagt man sich mit einer stacheligen Melodie, obwohl der kleine, grüne Kaktus im Text von Jürgens Jubiläumssong für die 200jährige Universität gar nicht vorkommt. Nur der ehrgeizige Alt wurde gepikst und genehmigt sich eine Sonderprobe.

Nach dem Mittagessen besucht uns ein renommierter Regisseur, der für seinen oscarnominierten Film „KyrieGloriaCredoSanctusBenedictusAgnusDei“ noch einfühlsame Komparsen sucht. Atemlos lauscht die ganze Herde, wie er anschaulich die einzelnen Szenen vor unserem geistigen Auge entstehen lässt. Das Kunstwerk beginnt mit einem Frühlingstag im Hohenheimer Park, wo liebliche Schneeglöckchen, zarte Krokusse, duftende Märzenbecher und tiefblaue Blumen erblühen. Es ist so überirdisch schön, dass der Himmel offenzustehen scheint und man direkt ins Paradies fugen, pardon fliegen könnte. In der nächsten Szene haben die Kommunionkinder endlich gelernt ihr Gebet lückenlos und würdig aufzusagen. Sodann folgt eine Jagdszene mit Hirschen und Rehen, die sich Rede und Antwort stehen und Jägern, die als Waffen Musikinstrumente mit sich führen. Alsbald folgt ein Szenenwechsel: Hoch oben, auf schäfchenweißen Wölkchen, schwebt ein kleines Engelchen mit Namen Eva und singt glockenhell und rein das Solo. Darunter zieht eine große Wolke heran, auf der Matthias, der Bassengel, Platz genommen hat, und nun wohltönend das Solo unterlegt. Alle Schafe lauschen den beiden hingebungsvoll. Das Geschehen neigt sich dem Ende zu. Bevor es einem kleinen Teufel mit einem ohrenbetäubend lauten Instrument gelingt in die höheren Sphären zu gelangen, wird ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen und es herrscht überall nur noch Frieden. Begeistert bewerben sich sofort alle Schafe als Komparsen und musizieren ein letztes Mal zusammen. In des Regisseurs Gehirn wird nun jede kleinste Begebenheit abgespeichert und zufrieden zieht er von dannen.

Hingegen sieht Walter, der Hirte, noch Übebedarf bei den Chorschafen. Irgendwie schaffen es die Paare beim Tanz im 5/4 Takt nicht richtig im Ringel herum, die Saiten reißen statt zu klingen, der Blumenkranz ist halb verdorrt und die hüpfenden Knaben und Mägdelein verschütten zu guter Letzt noch das Pfingstbier. Da wendet man sich doch lieber der Lagerfeuerromantik in Schumanns Zigeunerleben zu. Mit außergewöhnlicher Eindringlichkeit entzündet die Schafherde sprühende Fackeln und singt von flackernden Flammen und gaukelndem Schein. Es knistert und knackt förmlich, als ein durchdringender Ton das schöne Idyll jäh zerstört. Die Intensität der musikalischen Interpretation war wohl zu hoch, sodass die Brandmeldeanlage unverzüglich anschlägt und alle Schafe samt Hirten das Gebäude leicht verstört, aber geordnet verlassen. Die Ochsenhausener Feuerwehr rückt sehr schnell an und dann auch wieder ab. Die ganze Herde darf noch einmal den Chorsaal betreten und weiterproben. Bald schleicht sich, wegen des nahenden Endes, etwas Wehmut ein, müssen doch alle die Landesakademie für die musizierende Jugend (da fühlt man sich doch gleich zwanzig Jahre jünger!) in Richtung Heimat verlassen. Die Ausgeglichenheit aller Beteiligten und das schöne Miteinander hat wieder einmal wesentlich zu der angenehmen Atmosphäre und bestimmt sehr schönen Erinnerungen an die Probentage beigetragen. Die Schäfchen freuen sich an der dazugewonnenen musikalischen Sicherheit, verspüren keine Fugenangst mehr und sind sich nun sicher, in den Konzerten, trotz großem Orchester, nicht überhört zu werden.

Das kleine Schaf ist glücklich, dass es dabei sein durfte. Danke an Walter, den Hirten, und an alle Schäfchen aus der großen Herde. C.M.