Jubiläumskonzert 2018

Kaiser, König, Schubert, Pfohl

Abschieds- und Jubiläumskonzert des Unichors in der Steckfeldkirche

Heiter und gelassen geht Walter Pfohl auf das Podium in der Steckfeldkirche zu, räumt noch einen überflüssigen Stuhl beiseite, lächelt Chor und Orchester an, hebt den Taktstock und – Moment! - wird gleich das Dirigat einer gewaltigen Messe beginnen ...
Ausgewählt hat er Franz Schuberts „Missa solemnis“ As-Dur für sein Abschieds- und Jubiläumskonzert. 200 Jahre Universität Hohenheim, davon 50 Jahre Chor der Universität Hohenheim. Universitäten werden von alleine alt, aber welcher Musiker kann schon von sich sagen, er habe einen Chor gegründet und dann 50 Jahre geleitet? Damals zum Festakt sangen die 38 neuen Sängerinnen und Sänger Beethovens „Chorfantasie“. Diesmal also Schubert mit einem mindestens doppelt so großen Chor aus aktuellen und ehemaligen Choristen.
Walter Pfohl: Die Messe As-Dur „entstand in den Jahren 1818 bis 1822 in Wien und ist in gewisser Weise ein klingendes Echo aus der Entstehungszeit des Landwirtschaftlichen Instituts Hohenheim, der heutigen Universität Hohenheim“.

Dem klingenden Echo war ein ungeheures Donnern vorausgegangen.
Im April 1815 brach der indonesische Vulkan Tambora aus. Er tötete über 70.000 Menschen. Seine Asche verfinsterte den globalen Himmel, vernichtete die Ernten ganzer Kontinente und trug die Hauptschuld an der Hungersnot des Elendsjahres „Achtzehnhundertunderfroren“. Was wiederum dem König Wilhelm I. von Württemberg die Idee zur landwirtschaftlichen Forschung in Hohenheim eingab.
Und Schubert? Er hatte genau zu dieser Zeit viel Oper im Kopf und den Wunsch, mit einer bis dahin unerhörten Messe „nach dem Höchsten in der Kunst“ zu streben. Oder aber auch nur nach einer Festanstellung am Wiener Hof. Jedenfalls wollte er dieses Werk seinem Kaiser Franz I. widmen. Doch der Hofkapellmeister riet ab: „Die Messe ist gut, aber nicht in dem Styl componiert, den der Kaiser liebt“.  Auf deutsch: Viel zu lang und viel zu schwierig.

Walter Pfohl hat immer noch den Taktstock erhoben und jetzt wird es Zeit, die ersten Töne des Kyrie erklingen zu lassen. Piano beginnt es. Oh, ich liebe das: Je größer der Chor, desto schöner klingt sein Piano. Nach nur acht Takten des Orchesters setzt der Sopran mit einem demütigen Kyrie ein, das schon bald zur Bitte im Pianissimo wird. Dann der erste Dialog im Christe eleison mit dem wunderschön klaren Sopran von Eva Aderjan. Hubert Meyers feinfühliger Tenor, Sabine Czinczels warmer  Alt und Matthias Baurs theatralischer Bass ergänzen das fabelhafte Solisten-Quartett. Baur, nicht nur Sänger, sondern auch Dirigent des Daimler Sinfonieorchesters Stuttgart,  hatte das Publikum bereits zu Beginn des Konzerts mit dem 1. Satz der Großen C-Dur Sinfonie furios auf Schubert eingestimmt. Wenn das fünfgeteilte Kyrie leise verklungen ist, trumpfen Chor und Orchester im Gloria gewaltig auf. Majestätisch legt der Chor alle Stimmkraft in Lob und Ehre, Ruhm und Anbetung. Das ist eine Chorsinfonie, maestoso schreitend e vivace begleitet vom Orchester. Es muss eine helle Freude sein für den Dirigenten, wenn er bei dieser Musik fast immer in die Gesichter seiner Sängerinnen und Sänger blicken kann und nicht nur deren Scheitel sieht. Mut und Können braucht es, bei der wahrlich nicht leicht zu singenden Musik Schuberts die Köpfe aus den Noten zu lösen. Auch hier wieder – im Gratias agimus – ein von zärtlichen Geigen eingeleiteter Dialog der Solisten mit dem Chor. Das Gloria endet Cum sancto spiritu mit einer langen, kraftvollen Schlussfuge.
Noch mehr gefordert ist der Chor im Credo, das er a capella beginnt. Immer wieder fügt Schubert das Wort Credo in den Text ein. Das mochte damals hingehen; aber dass er die Passage Et unam sanctam, catholicam et apostolicam Ecclesiam unterschlug, war im konservativ-restaurativen Wien eine Todsünde. Grave und pianissimo das Incarnatus, das von der Menschwerdung Jesu berichtet. Hier singt der Chor achtstimmig und verdoppelt damit gleichermaßen Schuberts Glaubensbekenntnis.
Wunderbarer Wohlklang auch im Sanctus, heiter im Benedictus; und so still wie das Kyrie begonnen hat, schließt auch das Agnus Dei. Nach der eindringlichen Bitte um Erbarmen verhallt in langen Tönen das Dona nobis pacem.

Das war ganz große Musik und es war ein inhaltlich wie melodisch würdiger Abschluss der Arbeit Walter Pfohls mit seinem Chor. 6000 Stunden Probe mit rund 1.500 Choristen, die 125 Konzerte bestritten haben – das sind und bleiben viele Ruhmesblätter im Buch der universitas Hohenheim. Beifall und Jubel für dieses Konzert werden noch lange nachklingen. Das treue Publikum jedenfalls wünscht diesem herausragenden Chor, dass die 50-jährige Vorarbeit auch in der Zeit nach Pfohl weiterhin prächtige Früchte tragen wird.  W.R.